3.2 Vektoren und Vektorräume#

Im letzten Kapitel haben wir n-Tupel kennengelernt. Je nachdem für welche Anwendung sie eingesetzt werden, ist es sinnvoll, damit rechnen zu können. n-Tupels zusammen mit bestimmten Rechenoperationen führen zu dem Begriff des Vektorraumes, den wir in diesem Kapitel behandeln werden.

Lernziele Vektoren#

Lernziele

  • Sie wissen, wie der reelle Standardvektorraum definiert ist, d.h. Sie können die

    • Vektoraddition und

    • Skalarmultiplikation für n-Tupel anwenden.

  • Sie wissen, dass ein Element eines Vektorraumes Vektor genannt wird.

  • Sie wissen, wie ein allgemeiner, reeller Vektorraum definiert ist. Insbesondere können Sie die vier Eigenschaften der Vektoraddition und die vier Eigenschaften der Skalarmultiplikation nachprüfen.

  • Eigenschaften der Vektoraddition:

    • Assoziativgesetz: \(u\oplus(v\oplus w) = (u\oplus v)\oplus w\)

    • Existenz eines neutralen Elements \(0\in V\) mit \(v\oplus 0 = 0\oplus v = v\)

    • Existenz eines zu \(v\in V\) inversen Elements \(-v\in V\) mit \(v\oplus (-v)= (-v)\oplus v = 0\)

    • Kommutativgesetz: \(v\oplus u = u \oplus v\)

  • Eigenschaften der Skalarmultiplikation:

    • Vektorielles Distributivgesetz: \(s\odot(u\oplus v) = (s\odot u) \oplus (s\odot v)\)

    • Skalares Distributivgesetz: \((s+t)\odot v = (s\odot v) \oplus (t\odot v)\)

    • Assoziativgesetz für Skalare: \((s\cdot t)\odot v = s\odot (t \odot v)\)

    • Existenz eines neutralen Elements: \(1\odot v = v\)

Rechnen mit n-Tupeln#

Im vorherigen Kapitel haben wir die n-Tupel kennengelernt, eine Liste von \(n\) mathematischen Objekten, bei denen die Reihenfolge festgelegt ist. Eine Anwendung von n-Tupeln in der Praxis könnte die Erfassung der Arbeitsstunden pro Woche sein. Das erste Element des Tupels steht für die Arbeitsstunden am Montag, das zweite für den Dienstag, das dritte für den Mittwoch, das vierte für den Donnerstag und der letzte Eintrag erfasst die Arbeitsstunden am Freitag. Beispielsweise könnte die Erfassung der Arbeitsstunden für die erste Woche im Januar \((8, 8, 6, 8, 10)\) sein. Wir bezeichnen dieses 5-Tupel mit \(w_1\) für erste Woche, also

\[w_1 = (8, 8, 6, 8, 10).\]

In der zweiten, dritten und vierten Woche des Januars könnte eine Person folgende Arbeitsstunden geleistet haben:

\[\begin{align*} w_2 &= (7, 7, 10, 8, 8) \\ w_3 &= (8, 8, 8, 8, 8) \\ w_4 &= (7, 9, 8, 7, 9) \\ \end{align*}\]

Sollen nun die Arbeitsstunden im Januar ausgewertet werden, können wir beispielsweise fragen, wie viele Stunden insgesamt in den beiden ersten Wochen gearbeitet wurden. Dazu müssen wir jeden Eintrag (Wochentag) von \(w_1\) mit jedem Eintrag (Wochentag) von \(w_2\) addieren:

\[w_1 \oplus w_2 = (8, 8, 6, 8, 10) \oplus (7, 7, 10, 8, 8) = (15, 15, 16, 16, 18).\]

Um deutlich zu machen, dass die »Addition« der beiden 5-Tupel etwas Neues ist, haben wir das Symbol \(\oplus\) verwendet. Addieren wir die ersten vier Wochen im Januar komponentenweise (also Wochentag für Wochentag), dann erhalten wir

\[\text{Januar} = w_1 \oplus w_2 \oplus w_3 \oplus w_4 = (30, 32, 32, 31, 35).\]

Im Januar hat diese Person mehr Stunden am Freitag gearbeitet als an den anderen Tagen. Offensichtlich arbeitet diese Personen jede Woche unterschiedlich. Wenn wir nun analysieren wollen, wie eine durchschnittliche Woche im Januar aussieht, können wir jede Komponente durch 4 teilen (bzw. mit \(\frac{1}{4}\) multiplizieren.

\[\text{Durchschnitt Januar} = \frac{1}{4} \odot (30, 32, 32, 31, 35) = (7.5, 8, 8, 7.75, 8.75).\]

Das Rechnen mit n-Tupeln wollen wir nun formalisieren.

Der reelle Standardvektorraum#

Zunächst formalisieren wir die Schreibweise der Menge aller n-Tupel, indem wir das kartesische Produkt einführen. Ist \(n\) eine natürliche Zahl und \(\mathbb{R}\) die Menge der reellen Zahlen, dann ist das n-fache kartesische Produkt

\[\mathbb{R}^{n} = \{(x_1, x_2, \ldots, x_n) \;|\; x_1, x_2, \dots,x_n \in \mathbb{R}\}\]

die Menge aller n-Tupel \((x_1, x_2, \ldots, x_n)\) mit reellen Zahlen als Komponenten. Für diese Tupel definieren wir eine komponentenweise Vektoraddition \(\oplus: \mathbb{R}^n \times \mathbb{R}^n \to \mathbb{R}^n\) durch

\[(x_1, x_2, \ldots, x_n) \oplus (y_1, y_2, \ldots, y_n) = (x_1 + y_1, x_2 + y_2, \ldots, x_n+y_n).\]

Weiterhin definieren wir eine komponentenweise Multiplikation mit einem Skalar \(\odot:\mathbb{R}^n \times \mathbb{R}^n \to \mathbb{R}^n\) durch

\[s\odot (x_1, x_2, \ldots, x_n) = (s\cdot x_1, s\cdot x_2, \ldots, s\cdot x_n),\]

die Skalarmultiplikation genannt wird. Den Begriff Skalar haben wir hier genommen, um zu verdeutlichen, dass \(s\) nicht ein n-Tupel ist, sondern (in diesem Fall) eine reelle Zahl. Mit den beiden Rechenoperationen »Vektoraddition« und »Skalarmultiplikation« wird das reelle kartesische Produkt \(\mathbb{R}^n\) zu einem reellen Vektorraum, der auch reeller Standardvektorraum genannt wird. Die n-Tupel mit Rechenoperationen werden daher auch Vektoren genannt. Was genau ein Vektorraum ist, behandeln wir im nächsten Abschnitt. Zunächst halten wir noch eine alternative Schreibweise fest.

Die Vektoren des reellen Standardvektorraumes werden häufig als sogenannte Spaltenvektoren notiert. Das erleichtert die Übersicht bei der Vektoraddition und der Skalarmultiplikation, da dann zeilenweise addiert und mulitpliziert werden kann. Die Vektoraddition in Form von Spaltenvektoren wird dann folgendermaßen notiert:

\[\begin{split}\begin{pmatrix}x_1 \\x_2\\ \vdots \\ x_n\end{pmatrix} + \begin{pmatrix}y_1 \\y_2\\ \vdots \\ y_n\end{pmatrix} = \begin{pmatrix}x_1 + y_1 \\x_2 + y_2\\ \vdots \\ x_n + y_n\end{pmatrix}.\end{split}\]

Insbesondere wird meist das Symbol \(\oplus\) vereinfacht als \(+\) geschreiben, da eine »normale« Addition nicht gemeint sein kann. Die Skalarmultiplikation wird folgendermaßen geschrieben:

\[\begin{split}s\cdot \begin{pmatrix}x_1 \\x_2\\ \vdots \\ x_n\end{pmatrix} = \begin{pmatrix}s\cdot x_1 \\ s\cdot x_2 \\ \vdots \\ s\cdot x_n \end{pmatrix}.\end{split}\]

Auch hier wird in der Regel anstatt des Symbols \(\odot\) nur das normale Multiplikationszeichen \(\cdot\) verwendet, da jeweils aus dem Zusammenhang klar ist, ob die normale Multiplikation zwischen reellen Zahlen oder die Skalarmultiplikation gemeint ist.

Vektorraum#

Noch haben wir nicht die Frage beantwortet, was ein Vektorraum eigentlich ist. Ein Vektorraum ist eine mathematische Struktur, die über einem Körper definiert ist. Da wir hier nicht den Begriff Körper erläutern wollen, beschränken wir uns auf das prominente Beispiel der reellen Zahlen als Körper. Details zu Körpern können beispielsweise in dem Wikipedia-Artikel → Körper (Algebra) nachgelesen werden.

Zu dem Körper (also hier den reellen Zahlen) kommt noch eine weitere Menge, die wir mit \(V\) abkürzen. In unserem obigen Beispiel war als \(V\) die Menge der n-Tupel gewählt worden. Ein anderes Beispiel könnte aber auch die Menge \(V\) die Funktionen \(\{1, x, x^2, \ldots, x^n\}\) sein.

Als dritte und vierte Zutat für einen Vektorraum kommen noch zwei Verknüpfungen (Rechenoperationen) dazu:

  • Vektoraddition \(\oplus: V \times V \to V\) und

  • Skalarmultiplikation \(\odot: \mathbb{R} \times V \to V\).

Der Körper (hier \(\mathbb{R}\)), die Menge \(V\) und die beiden Verknüpfungen \(\oplus\) und \(\odot\) bilden einen Vektorraum, wenn für alle \(u, v, w \in V\) und \(s,t \in \mathbb{R}\) die folgende Eigenschaften gelten:

Vektoraddition:

  1. Assoziativgesetz: \(u\oplus(v\oplus w) = (u\oplus v)\oplus w\)

  2. Existenz eines neutralen Elements \(0\in V\) mit \(v\oplus 0 = 0\oplus v = v\)

  3. Existenz eines zu \(v\in V\) inversen Elements \(-v\in V\) mit \(v\oplus (-v)= (-v)\oplus v = 0\)

  4. Kommutativgesetz: \(v\oplus u = u \oplus v\)

Skalarmultiplikation:

  1. Vektorielles Distributivgesetz: \(s\odot(u\oplus v) = (s\odot u) \oplus (s\odot v)\)

  2. Skalares Distributivgesetz: \((s+t)\odot v = (s\odot v) \oplus (t\odot v)\)

  3. Assoziativgesetz für Skalare: \((s\cdot t)\odot v = s\odot (t \odot v)\)

  4. Existenz eines neutralen Elements: \(1\odot v = v\)

In der Physik wird der Raum unserer Anschauung oft als euklidischer Raum bezeichnet. Es gibt verschiedene Interpretationen dieses Begriffes. Eine davon ist, den euklidischen Raum als reellen Standardvektorraum zu interpretieren. In den folgenden Videos wird daher nicht zwischen beiden Begriffen unterschieden.

Video “n-dimensionaler euklidischer Raum” von Mathematische Methoden
Video “Addition von Vektoren” von Mathematische Methoden
Video “Skalarmultiplikation” von Mathematische Methoden
Video “Subtraktion von Vektoren” von Mathematische Methoden

Zusammenfassung und Ausblick#

Der mathematische Begriff Vektorraum ist zunächst recht abstrakt. In dieser Vorlesung beschränken wir uns auf daher auf reelle Vektorräume. Im nächsten Kapitel werden wir den reellen Standardvektorraum benutzen, um geometrische Objekte zu beschreiben.