4.1 Basis und Dimension#

In diesem Kapitel werden wir uns mit den grundlegenden Konzepten Basis und Dimension von Vektorräumen beschäftigen. Beide Konzepte basieren auf der Linearkombination von Vektoren, die wir im letzten Kapitel kennengelernt haben.

Lernziele#

Lernziele

  • Sie wissen, was ein Erzeugendensystem ist.

  • Sie wissen, was eine Basis ist.

  • Sie kennen die Standardbasis des \(\mathbb{R}^3\) und die dazugehörigen kanonischen Einheitsvektoren.

  • Sie wissen, was die Dimension eines Vektorraumes ist.

Erzeugendensystem#

Bei manchen vor allem hochpreisigen Gaming-Tastaturen wird damit geworben, dass die Tastaturkappen für die Buchstaben W, A, S und D austauschbar sind. Doch warum? Bei vielen Computerspielen werden diese vier Tasten zur Steuerung der Spielfigur benutzt. Beispielsweise steuert A eine Figur nach links und D nach rechts, während mit W die Figur nach oben und mit S nach unten gesteuert wird. Bei einem zweidimensionalen Spiel reichen die Bewegungen oben/unten und links/rechts aus, um jede Position des Spielfeldes zu erreichen. Somit kann die Spielfigur komplett mit der linken Hand gesteuert werden und die rechte Hand bleibt frei, um weitere Aktionen der Spielfigur zu kontrollieren.

Die Bewegung oben/unten wird von dem Computerspiel folgendermaßen interpretiert. Jeder Tastendruck von W bewirkt, dass die Spielfigur einen Schritt nach oben bewegt wird. Wird dreimal gedrückt, ist die neue y-Koordinate der Spielfigur

\[y_{\text{neu}} = y_{\text{alt}} + 3\]

und die reine Bewegung in y-Richtung \(v_y = 3\). Wird danach fünfmal die S-Taste gedrückt, bewegt sich die Spielfigur um fünf Schritte nach unten. Nimmt man jetzt beide Bewegungen zusammen, dann ist die neue y-Position

\[y_{\text{neu}} = \left( y_{\text{alt}} + 3 \right) - 5 = y_{\text{alt}} -2.\]

Allgemein können wir die Bewegung der Spielfigur beschreiben als Linearkombination

\[v_y = W \cdot (+1) + S \cdot (-1),\]

wobei die \(+1\) für einen Schritt nach oben steht und die \(-1\) für einen Schritt nach unten.

Analog dazu können wir die Bewegung links/rechts durch die Tasten A und D beschreiben. Wird erst dreimal die Taste A gedrückt und dann einmal die Taste D, so läuft die Spielfigure drei Schritte nach links und dann einen Schritt nach rechts. Insgesamt befindet sich die Figure dann zwei Schritte links von der ursprünglichen Position, also

\[x_{\text{neu}} = x_{\text{alt}} - 2.\]

Die reine Bewegung können wir durch

\[v_x = D\cdot (+1) + A \cdot (-1)\]

berechnen. Diesmal steht \(+1\) für einen Schritt nach rechts und \(-1\) für einen Schritt nach links.

Jetzt beschreiben wir die beiden Bewegungsarten gemeinsam. Fünfmal W, dreimal D und dann zweimal A bedeutet, dass die Spielfigur am Ende der Bewegung fünf Schritte nach oben und einen Schritt nach rechts gegangen ist. Wir nutzen die Vektornotation, d.h. Bewegungen links/rechts werden als erste Komponente notiert und die zweite Komponente repräsentiert die Bewegung oben/unten. Die drei Bewegungen sind also

\[\begin{split}\vec{v} = \begin{pmatrix} 0 \\ 5 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} 3 \\ 0 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} -2 \\ 0 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Allgemein können wir jede Bewegung der Spielfigur folgendermaßen zusammensetzen:

\[\begin{split}\vec{v} = W \cdot \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix} + A \cdot \begin{pmatrix} -1 \\ 0 \end{pmatrix} + S \cdot \begin{pmatrix} 0 \\ -1 \end{pmatrix} + D\cdot \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Diese vier Bewegungsvektoren erzeugen alle Bewegungen, um jede Position des Spielfeldes zu erreichen. In der Mathematik nennt man eine Menge von Vektoren, die linear kombiniert jeden Vektor des Vektorraumes erzeugen, ein Erzeugendensystem.

Mathematisch präzise wird ein Erzeugendensystem folgendermaßen definiert.

Was ist … ein Erzeugendensystem?

Ist \(V\) ein reeller Vektorraum, dann wird eine Menge \(E\subseteq V\) von Vektoren Erzeugendensystem von \(V\) genannt, wenn jeder Vektor \(\vec{v}\in V\) als Linearkombination von den Vektoren aus \(E\) dargestellt werden kann. Jeder Vektor \(\vec{v}\in V\) hat also eine Zerlegung der Form

\[\vec{v} = s_1\cdot \vec{e}_1 + s_2 \cdot \vec{e}_2 + \ldots + s_n \cdot \vec{e}_n\]

mit den Skalaren \(s_1, s_2, \ldots, s_n\) und den Erzeugendensystem-Vektoren \(\vec{e}_1, \vec{e}_2, \ldots, \vec{e}_n \in E\).

Video “Erzeugendensystem” von Prof. Hoever

Basis#

Bei dem obigen Beispiel des Erzeugendensystems für ein 2D-Computerspiel haben wir vier Vektoren benutzt, um die Bewegungen der Spielfigur auf dem Spielfeld zu beschreiben:

\[\begin{split}\vec{v} = W \cdot \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix} + A \cdot \begin{pmatrix} -1 \\ 0 \end{pmatrix} + S \cdot \begin{pmatrix} 0 \\ -1 \end{pmatrix} + D\cdot \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Wenn wir als Spieler beobachten wollen, wie die Figur läuft, ist es sinnvoll jede Einzelbewegung auch als solche zu animieren. Sollte das Computerspiel auch einen Transport zulassen, bei der die Figur sich von einer Position zu einer anderen Position teleportiert, ohne dass die Bewegung selbst sichtbar wird (z.B. beim Spawnen), dann ist es einfacher, nur die Gesamtbewegung \(\vec{v}_{\text{gesamt}}\) zu betrachten:

\[\begin{split}\vec{v}_{\text{gesamt}} = \begin{pmatrix} 0 \\ 5 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} 3 \\ 0 \end{pmatrix} + \begin{pmatrix} -2 \\ 0 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 1 \\ 5 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Die Spielfigur teleportiert also zu der neuen Position

\[\begin{align*} x_{\text{neu}} &= x_{\text{alt}} + 1, \\ y_{\text{neu}} &= y_{\text{alt}} + 5. \\ \end{align*}\]

Am einfachsten lässt sich die Teleportation durch ein Erzeugendensystem beschreiben, bei dem nur zwei Vektoren verwendet werden. Der erste Vektor beschreibt die Bewegung links/rechts, der zweite Vektor die Bewegung oben/unten:

\[\begin{split}\vec{v}_{\text{gesamt}} = (D - A) \cdot \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix} + (W - s) \cdot \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Bei der Gesamtbewegung werden erst die resultierenden Schritte links/rechts als \(D-A\) berechnet und dann die resultierenden Schritte oben/unten als \(W-S\). Dennoch können wir immer noch jede Bewegung auf dem Spielfeld darstellen, die gebraucht wird, um jede Position auf dem Spielfeld zu erreichen. Lassen wir jedoch einen der beiden Vektoren weg und benutzen beispielsweise nur noch

\[\begin{split}\vec{v}_1 = \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix},\end{split}\]

so können wir nur noch links/rechts-Bewegungen erzeugen. Die Spielfigure könnte sich nur noch entlang einer horizontalen Linie bewegen, die auf der Höhe ihrer Startposition liegt. Weniger als zwei Vektoren darf das Erzeugendensystem nicht haben. Das minimale Erzeugendensystem, mit dem durch Linearkombination alle Vektoren eines Vektorraums dargestellt werden können, nennt man Basis. Für unser 2D-Computerspiel bildet die Menge

\[\begin{split}E = \left\{ \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} -1 \\ 0 \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} 0 \\ -1 \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix} \right\} \end{split}\]

ein Erzeugendensystem. Die Menge

\[\begin{split}B = \left\{ \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix} \right\} \end{split}\]

bildet eine Basis der Bewegungen auf dem Spielfeld.

Was ist … eine Basis?

Ein minimales Erzeugendensystem eines Vektorraumes wird Basis genannt. Damit ist gemeint, dass alle Vektoren des Vektorraumes \(V\) durch eine Linearkombination der Vektoren von \(B\) dargestellt werden können (= Erzeugendensystem). Wird jedoch ein Element aus der Menge \(B\) der Basisvektoren entfernt, können nicht mehr alle Vektoren von \(V\) durch Linearkombination erzeugt werden (= minimal).

Kanonische Einheitsvektoren bzw. Standardbasis#

Im dreidimensionalen kartesischen \(\mathbb{R}^3\) Koordinatensystem wird normalerweise die folgende Standardbasis verwendet, um die Richtungen der drei Koordinatenachsen zu beschreiben:

\[\begin{split}\vec{e}_1 = \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \vec{e}_2 = \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \vec{e}_3 = \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Dabei werden die Koordinatenachsen als \(x_1\)-Achse, \(x_2\)-Achse und \(x_3\)-Achse bezeichnet. Manchmal werden auch andere Bezeichnungen verwendet. Lauten die Namen der Koordinatenachsen beispielsweise \(x\)-Achse, \(y\)-Achse und \(z\)-Achse, dann werden die Vektoren der Standardbasis folgendermaßen bezeichnet:

\[\begin{split}\vec{e}_x = \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \vec{e}_y = \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \vec{e}_z = \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}.\end{split}\]

In den Naturwissenschaften sind auch die Bezeichnungen

\[\begin{split}\mathbf{i} = \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \mathbf{j} = \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \\ 0 \end{pmatrix}, \quad \mathbf{k} = \begin{pmatrix} 0 \\ 0 \\ 1 \end{pmatrix}\end{split}\]

üblich. Da alle Vektoren die Länge Eins haben, sind es Einheitsvektoren. Um kenntlich zu machen, dass es nicht nur irgendwelche Einheitsvektoren sind, sondern die Einheitsvektoren, aus denen die Standardbasis besteht, nennt man diese Vektoren die kanonischen Einheitsvektoren.

Dimension#

Offensichtlich ist die Anzahl der Basisvektoren eine wichtige Eigenschaft eines Vektorraumes. Bei unserem Computerspiel führt die Eigenschaft, dass mindestens zwei Basisvektoren gebraucht werden, um die Bewegungen links/rechts und oben/unten zu beschreiben, dazu, dass vier Finger für die Steuerung der Spielfigur benötigt werden. A - D steuern entlang des Vektors

\[\begin{split}\vec{b}_1 = \begin{pmatrix} 1 \\ 0 \end{pmatrix}\end{split}\]

und W - S entlang

\[\begin{split}\vec{b}_2 = \begin{pmatrix} 0 \\ 1 \end{pmatrix}.\end{split}\]

Wir könnten auch eine andere Basis wählen. Auch die Vektoren

\[\begin{split}B' = \left\{\begin{pmatrix} 1 \\ 1 \end{pmatrix}, \begin{pmatrix} -1 \\ 1 \end{pmatrix} \right\}\end{split}\]

ermöglichen es, jede Bewegung auf dem Spielfeld darzustellen. Die Spielfigure bewegt sich dann diagonal auf dem Spielfeld, kann aber dennoch durch geschickte Linearkombination jede Position des Spielfeldes erreichen. Aber auch hier brauchen wir mindestens zwei Basisvektoren, damit die Spielfigure nicht auf eine einzige Diagonale beschränkt ist.

Da die Anzahl der Basisvektoren so wichtig zur Charakterisierung von Vektorräumen ist, hat sie einen eigenen Namen. Die Anzahl der Basisvektoren wird Dimension genannt. Sie ändert sich auch nicht, wenn die Basis gewechselt wird.

Was ist … die Dimension eines Vektorraumes?

Die Anzahl der Basisvektoren eines Vektorraumes \(V\) wird Dimension genannt. Oft wird sie mit dem mathematischen Symbol \(\dim(V)\) abgekürzt.

Die Bewegungen unseres zweidimensionales Computerspiels werden also durch einen Vektorraum der Dimension 2 beschrieben :-)

Video “Basis und Dimension” von Prof. Hoever

Zusammenfassung und Ausblick#

Die Basis ist ein wichtiges Konzept, um möglichst effizient alle Vektoren eines Vektorraumes durch Linearkombination zur erzeugen. Die minimal notwendige Anzahl an Vektoren, die dafür gebraucht wird, ist eine wichtige Eigenschaft und wird als Dimension bezeichnet.