4.4 Anwendungen Skalarprodukt#
In Physik und Technischer Mechanik wird das Skalarprodukt häufig in seiner geometrischen Interpretation genutzt, da es zahlreiche Anwendungen hat. Im Folgenden beschäftigen wir uns mit den wichtigsten Anwendungen davon.
Lernziele#
Lernziele
Sie können überprüfen, ob zwei Vektoren kollinear sind.
Sie kennen das Orthogonalitätskriterium und können mit dem Skalarprodukt überpüfen, ob zwei Vektoren orthogonal \(\perp\) (= senkrecht zueinander) sind.
Sie können die senkrechte Projektion eines Vektors auf einen anderen Vektor berechnen.
Sie können die Richtungswinkel eines Vektors mit den Koordinatenachsen berechnen.
Kollinearität#
Eine wichtige Anwendung des Skalarproduktes in der Geometrie ist zu überprüfen, ob zwei Vektoren orthogonal sind. Bevor uns der Orthogonalität widmen, betrachten wir zunächst parallele und antiparallele Vektoren. Geometrisch interpretiert sind zwei Vektoren zueinander parallel, wenn sie die gleiche Richtung haben. Liegen beide Vektoren auf derselben Geraden, aber haben sie entgegengesetzte Richtungen, so sagt man, die beiden Vektoren sind antiparallel. Beides fasst man als kollinear zusammen. Kollineare Vektoren sind also entweder parallel oder antiparallel. Oder anders formuliert, kollineare Vektoren liegen immer auf einer Geraden, nur die Richtung ist ggf. entgegengesetzt.
Wann sind … zwei Vektoren kollinear?
Zwei Vektoren sind kollinear, wenn ein Vektor ein Vielfaches vom anderen Vektor ist:
Ist der Skalar \(s < 0\), so sind die beiden Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\) antiparallel. Ist hingegen \(s > 0\), sind die beiden Vektoren parallel.
Zusammen mit dem Skalarprodukt ergeben sich dann die folgende Schlussfolgerungen. Sind zwei Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\), die beide nicht der Nullvektor sind, parallel, dann gilt
Das ergibt sich aus der geometrischen Interpretation des Skalarproduktes, denn der eingeschlossene Winkel ist bei parallelen Vektoren \(\varphi = \angle(\vec{a}, \vec{b}) = 0^{\circ}\) und \(\cos(0^{\circ})=1\). Also gilt:
Sind die beiden Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\) antiparallel, dann ist der zwischen ihnen eingeschlossene Winkel \(\varphi = \angle(\vec{a},\vec{b}) = 180^{\circ}\) und es gilt \(\cos(180^{\circ})=-1\). Damit erhalten wir wiederum aus der geometrischen Interpreation des Skalarproduktes
Orthogonalität#
In der Geometrie nennt man Geraden orthogonal, wenn sie einen rechten Winkel \(\varphi=90^{\circ}\) einschließen. Der Kosinus von \(90^{\circ}\) ist aber Null, also \(\cos(90^{\circ})=0\). Damit gilt für die geometrische Interpretation des Skalarproduktes für die beiden Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\):
Wir halten also das folgende Orthogonalitätskriterium fest.
Wann sind … zwei Vektoren orthogonal?
Zwei Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\) sind genau dann orthogonal, wenn ihr Skalarprodukt Null ist:
Senkrechte Projektion eines Vektors auf einen anderen Vektor#
Die senkrechte Projektion eines Vektors auf einen anderen Vektor wird häufig in der Technischen Mechanik benötigt, wenn es darum geht, Kräfte zu zerlegen. Bei der senkrechten Projektion betrachten wir zwei Vektoren \(\vec{a}\) und \(\vec{b}\) und lassen beide von demselben Startpunkt \(S\) starten. Der Punkt \(P\) ist die Pfeilspitze des Vektors \(\vec{b}\), also \(P = S + \vec{a}\). Wir suchen dann denjenigen Punkt \(L\), so dass die Verbindung von \(P\) zu \(L\) (also \(\overrightarrow{PL}\)) senkrecht auf dem Vektor \(\vec{b}\) steht. Diese Verbindung zwischen \(P\) und \(L\) wird Lot genannt. Der Punkt wird Lotfußpunkt genannt. Oft sagt man umgangssprachlich auch »das Lot fällen«, wenn man den Lotfußpunkt bzw. das Lot konstruiert. Im Kontext der Vektorrechnung sagt man, man projiziert den Vektor \(\vec{b}\) senkrecht auf den Vektor \(\vec{a}\).
Wir wollen nun den Vektor berechnen, der durch senkrechte Projektion von \(\vec{b}\) auf \(\vec{a}\) entsteht. Dieser Vektor ist der Verbindungsvektor vom Startpunkt \(S\) zum Lotfußpunkt \(L\). Er wird üblicherweise mit
bezeichnet. Ohne weitere Berechnungen können wir die Richtung dieses Vektors angeben, denn es ist die gleiche Richtung wie die des Vektors \(\vec{a}\). Wir wissen daher schon, dass \(\vec{b}_{\vec{a}}\) in der Form
dargestellt werden kann. Zur Erinnerung, Richtungen werden normalerweise normiert, d.h. als Einheitsvektoren angegeben. Wir haben daher den Vektor \(\vec{a}\) noch durch seine Länge \(|\vec{a}|\) geteilt und ihn mit \(\vec{e}_{\vec{a}}\) abgekürzt.
Was jetzt noch fehlt ist die Länge des Vektors \(x = |\vec{b}_{\vec{a}}|\). Dazu nutzen wir aus, dass durch das Lot ein rechtwinkliges Dreieck entstanden ist, für das gilt:
Den Kosinus des eingeschlossenen Winkels \(\varphi = \angle(\vec{a},\vec{b})\) können wir wiederum über die geometrische Interpretation des Skalarproduktes bestimmen. Setzen wir
in die Gleichung (2) ein, dann erhalten wir
Insgesamt lässt sich die senkrechte Projektion \(\vec{b}_{\vec{a}}\) des Vektors \(\vec{b}\) auf den Vektor \(\vec{a}\) also berechnen als
Für den senkrecht projizierten Vektor \(\vec{b}_{\vec{a}}\) gilt also
Wie wird die senkrechte Projektion berechnet?
Soll die senkrechte Projektion \(\vec{b}_{\vec{a}}\) des Vektors \(\vec{b}\) auf den Vektor \(\vec{a}\) berechnet werden, normiert man als erstes den Vektor \(\vec{a}\):
Dann berechnet man das Skalarprodukt von dem Einheitsvektor \(\vec{e}_{\vec{a}}\) mit \(\vec{b}\) und baut den Vektor als
zusammen.
Richtungswinkel und Richtungkosinus#
In der geometrischen Interpretation eines Vektors besteht dieser aus einer Richtung und einer Länge (Betrag). Als nächstes wollen wir die Richtung des Vektors durch die drei Winkel beschreiben, der Vektor mit den Koordinatenachsen eines dreidimensionalen kartesischen Koordinatensystems bildet.
Die drei Vektoren, die die Richtungen der drei Koordinatenachsen beschreiben, nennen wir \(\vec{e}_1\), \(\vec{e}_2\) und \(\vec{e}_3\). In Komponentenschreibweise lauten sie:
Der Vektor \(\vec{a}\) lautet in Komponentenschreibweise
und hat die Länge bzw. den Betrag
Für den eingeschlossenen Winkel \(\alpha = \angle(\vec{a},\vec{e}_1)\) des Vektors \(\vec{a}\) mit der 1. Koordinatenachse \(\vec{e}_1\) erhalten wir über die geometrische Interpretation des Skalarproduktes
Dieser Wert wird als Richtungskosinus von \(\vec{a}\) mit der 1. Koordinatenachse bezeichnet. Wir können nun daraus den Richtungswinkel \(\alpha\) berechnen:
Die gleiche Rechnungen können wir auch für die beiden anderen Koordinatenachsen durchführen. Insgesamt erhalten wir die folgenden Formeln.
Was sind … die Richtungswinkel?
Die Winkel, die ein Vektor \(\vec{a}=(a_1,a_2,a_3)\) mit den Koordinatenachsen bildet, werden als Richtungswinkel bezeichnet. Sie können über die Formeln
berechnet werden.
Zusammenfassung und Ausblick#
Kollineare und orthogonale Vektoren, speziell die senkrechten Projektionsvektoren, haben eine große Bedeutung in Physik und Technischer Mechanik, beispielsweise bei der Zerlegung von Kräften. Auch die Berechnung der Richtungswinkel hat direkte Anwendungen beispielsweise in der Beschreibung der Richtung eines Roboterarmes. Daher spielt das Skalarprodukt eine herausrgende Rolle bei solchen Anwendungen. Speziell für den dreidimensionalen Raum wurde zusätzlich das Vektorprodukt entwickelt, um weitere Phänomene in Physik und Technik mathematisch einfach beschreiben zu können. Das Vektorprodukt lernen wir im nächsten Kapitel kennen.