5.2 Restglied von Taylorreihen

5.2 Restglied von Taylorreihen#

Taylorreihen und ihre Konvergenzeigenschaften sind für Ingenieure von großer Bedeutung, da sie bei der Lösung von Differentialgleichungen, der Optimierung von Funktionen und der numerischen Berechnung von Integralen verwendet werden. Taylorreihen bieten eine Möglichkeit, Funktionen durch einfachere, polynomiale Funktionen zu approximieren, die leichter zu handhaben sind. Die Kenntnis des Restglieds ermöglicht es Ingenieuren, die Genauigkeit der Approximation abzuschätzen und zu entscheiden, wie viele Terme der Taylorreihe für eine ausreichend genaue Lösung erforderlich sind.

Lernziele#

Lernziele

Sie können mit dem Restglied der Taylorreihe den Fehler abschätzen, der entsteht, wenn eine Funktion durch ein Taylorpolynom vom Grad n ersetzt wird.

Restglied der Taylorreihe#

Die Idee der Taylorreihe ist ja, eine komplizierte Funktion \(f\) durch eine Potenzreihe zu darzustellen. Allerdings ist das Aufsummieren von unendlich vielen Summanden für die Taylorreihe auch nicht praktikabel. Stattdessen wird in der Praxis die Taylorreihe ab einem bestimmten Grad abgebrochen. Oder anders ausgedrückt, als Näherung für die Funktion \(f\) in der Umgebung eines Entwicklungspunktes \(x_0\) wird ein Taylorpolynom vom Grad \(n\) genutzt. Aber wie groß ist eigentlich der Fehler, wenn statt der Funktion \(f\) das Taylorpolynom \(T_n\) genommen wird? Welcher Rest bleibt da? Eines ist schon einmal klar. Würden wir für das Taylorpolynom einen anderen Grad \(m\) nehmen, so würde sich auch ein anderer Fehler ergeben. Der Rest ist also auch vom Grad des Taylorpolynoms abhängig. Wir fassen zusammen:

Was ist … das Restglied der Taylorreihe?

Wir nennen die Differenz zwischen der Funktion \(f\) und dem dazugehörigen Taylorpolynom \(T_n\) vom Grad \(n\) das Restglied \(R_n\). In Formel ausgedrückt ist das Restglied

\[R_n(x) = f(x) - T_n(x).\]

Jetzt haben wir dem Fehler zwar einen neuen Namen gegeben, Restglied, aber das hilft uns erstmal noch nicht weiter. Allerdings hat ein Mathematiker namens Joseph-Louis Lagrange gezeigt, dass für das Restglied die folgende Formel gilt:

\[R_n(x) = f(x) - T_n(x) = \frac{f^{(n+1)}(\textcolor{red}{z})}{(n+1)!}\cdot(x-x_0)^{n+1},\]

wobei der Punkt \(z\) eine Zwischenstelle ist, die irgendwo zwischen \(x\) und \(x_0\) liegt.

Leider ist die Formel nicht ganz so einfach anzuwenden, denn die Zwischenstelle \(z\) ist ja nicht bekannt. Wir wissen nur, dass \(z\) irgendwo zwischen dem Entwicklungspunkt \(x_0\) und \(x\) liegt. Aber egal wo \(z\) jetzt wirklich liegt, wir können einfach für alle Werte \(z\) die \((n+1)\)-te Ableitung

\[f^{(n+1)}(z)\]

zeichnen. Aus der Zeichnung können wir dann das Maximum \(M\) von \(f^{(n+1)}(z)\) für alle Punkte zwischen \(x_0\) und \(x\) ablesen oder anderweitig berechnen. Es gilt also

\[f^{(n+1)}(z) \leq M.\]

Und mit dieser Abschätzung kann jetzt endlich auch der Fehler abgeschätzt werden, wenn \(T_n\) anstatt der Funktion \(f\) verwendet werden soll. Da wir nicht wissen, ob \(T_n\) die Funktion \(f\) über- oder unterschätzt, wissen wir auch nicht, ob \(R_n(x)\) negativ oder positiv ist. Daher nehmen wir einfach mal den Betrag von \(R_n(x)\), da es ja auch nur um eine grobe Abschätzung des Fehlers geht.

\[\begin{align*} \left|R_n(x) \right| &= \left| f(x) - T_n(x) \right| = \\ &= \left| \frac{f^{(n+1)}(z)}{(n+1)!}\cdot(x-x_0)^{n+1} \right| \leq\\ &\leq \frac{M}{(n+1)!} \cdot |x-x_0|^{n+1}. \end{align*}\]

Fast fertig, jetzt muss noch ein Maximum von \(|x - x_0|\) bestimmt werden. Wir nennen diese Zahl mal \(d\) (wie Distanz). Dann kann der Fehler, der Betrag des Restglieds des Taylorpolynoms, abgeschätzt werden als

\[\left|R_n(x) \right| \leq \frac{M}{(n+1)!}\cdot d^{n+1}.\]

Das folgende Video fasst die obigen Erklärungen zusammen.

Video zu “Taylor Restglied” von Prof. Hoever

Beispiel#

Probieren wir das an einem Beispiel aus. Die Funktion \(f(x)=\sin(x)\) soll durch ein Taylorpolynom Grad 3 am Entwicklungspunkt \(x_0=0\) approximiert werden. Im Abschnitt Kochrezept Taylorpolynome haben wir ja schon das Taylorpolynom \(T_{3}\) berechnet als

\[T_3(x) = x - \frac{1}{6}x^3.\]

Die vierte Ableitung der Sinusfunktion ist wieder die Sinusfunktion selbst, also \(f^{(4)}(x) = \sin(x)\).

Das Restglied ist also

\[R_3(x) = \frac{\sin(z)}{(3+1)!}\cdot x^{3+1} = \frac{\sin(z)}{24}\cdot x^4.\]

für eine Zwischenstelle \(z\) zwischen \(0\) und \(x\). Wir wählen einen Winkel von \(\alpha = 5^{\circ}\), was im Bogenmaß \(\frac{\pi}{36}\approx 0.0873\) rad entspricht und untersuchen daher die Approximation an der Stelle \(x = 0.0873\). Wenn wir die Sinusfunktion im Intervall \([0, 0.0873]\) zeichnen, so können wir ablesen, dass das Maximum gerade bei \(x = 0.0873\) erreicht wird, also ist

\[M = \sin(0.0873) \approx 0.0872.\]

Der Term \(x - 0\) kann durch \(m = 0.0873\) abgeschätzt werden, durch den Punkt am rechten Intervallende, der am weitesten vom Entwicklungspunkt \(x_0=0\) entfernt ist. Also gilt

\[R_3(0.0873) \leq \frac{0.0872}{24}\cdot 0.0873^4 = 2.11 \cdot 10^{-7}.\]

Dieser maximale Fehler ist in den meisten Fällen so klein, dass im Intervall \([-5^{\circ}, + 5^{\circ}]\) die Sinusfunktion auch durch

\[\sin(x) \approx T_3(x) = x - \frac{1}{6}x^3.\]

In vielen Fällen ist es sogar legitim, die Sinusfunktion nur durch das Taylorpolynom ersten Grades zu approximieren, also

\[\sin(x) \approx T_1(x) = x.\]

Diese Approximation nennt sich Kleinwinkelnäherung und wird beispielsweise bei der Berechnung der Bewegungsgleichung des Fadenpendels benötigt.

Ein weiteres Beispiel können Sie sich in dem folgenden Video ansehen.

Video zu “Taylorpolynom, Restglied” von Daniel Jung