12.1 Lineare DGL 1. Ordnung#

Viele technische Prozesse lassen sich durch lineare Differentialgleichungen beschreiben: die Entladung eines Kondensators in einem elektrischen Schaltkreis, die Temperaturregelung in einem Industrieofen oder die Dämpfung von Schwingungen in einem Fahrzeugfahrwerk. Wir beginnen das Thema lineare Differentialgleichungen mit den linearen Differentialgleichungen 1. Ordnung.

Lernziele#

Lernziele

  • Sie können bei einer gegebenen Differentialgleichung entscheiden, ob es sich um eine lineare Differentialgleichung handelt oder nicht.

  • Sie wissen, was die Störfunktion einer linearen Differentialgleichung ist.

  • Sie können bei einer gegebenen linearen Differentialgleichung entscheiden, ob diese eine homogene oder eine inhomogene Differentialgleichung ist.

Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung#

Eine lineare Differentialgleichung ist eine Differentialgleichung, in der die Funktion und ihre Ableitungen nur in der ersten Potenz und nicht als Argument nichtlinearer Funktionen auftreten. Das bedeutet, sie werden beispielsweise nicht quadriert, es gibt keine Produkterme und sie erscheinen nicht innerhalb von Funktionen wie Sinus oder Exponentialfunktion oder anderen nichtlinearen Funktionen.

Was ist … eine lineare DGL 1. Ordnung?

Formal können wir eine lineare Differentialgleichung 1. Ordnung in der Form

\[a_1(x)y' + a_0(x)y = r(x)\]

darstellen. Die rechte Seite \(r(x)\) heißt Störfunktion.

Der Begriff Störfunktion stammt aus der Regelungstechnik und Physik. Die Gleichung \(a_1(x)y' + a_0(x)y = 0\) würde ein System beschreiben, das sich im Gleichgewicht befindet. Die rechte Seite \(r(x)\) repräsentiert eine äußere Einwirkung, die dieses Gleichgewicht “stört” und wird daher Störfunktion genannt.

Beispiel 1: Die Differentialgleichung

\[3x \cdot y' - \sin(x)\cdot y = x^2\]

ist eine lineare Differentialgleichung 1. Ordnung. Zwar treten in dieser Differentialgleichung nichtlineare Terme auf (\(\sin(x)\) und \(x^2\)), doch beziehen sich diese jedoch nur auf die Variable \(x\) und nicht auf die gesuchte Funktion \(y\) oder ihre Ableitung \(y'\).

Beispiel 2: Die Differentialgleichung

\[3x \cdot y' - x\cdot \sin(y) = x^2\]

ist hingegen keine lineare Differentialgleichung, sondern eine nichtlineare Differentialgleichung 1. Ordnung, da die gesuchte Funktion \(y\) innerhalb der nichtlinearen Sinus-Funktion \(\sin(y)\) auftritt.

Nachdem wir nun lineare von nichtlinearen Differentialgleichungen unterscheiden können, betrachten wir eine weitere wichtige Klassifikation: homogen und inhomogen.

Störfunktion entscheidet über homogen und inhomogen#

Bei linearen Differentialgleichungen lassen sich Lösungsmethoden anwenden, die auf der Theorie von linearen Gleichungssystemen beruhen. Bei der Lösung von solchen Gleichungssystemen ist es entscheidend zu unterscheiden, ob das Gleichungssystem homogen oder inhomogen ist. Daher adaptieren wir diese beiden Begriffe auch für lineare Differentialgleichungen.

Was ist … eine homogene lineare DGL?

Eine lineare Differentialgleichung ist homogen, wenn die Störfunktion gleich der Nullfunktion ist. Ansonsten wird sie inhomogen genannt.

Beispiel 1: Die Differentialgleichung

\[3x \cdot y' - \sin(x)\cdot y = 0\]

ist eine homogene lineare Differentialgleichung 1. Ordnung. Die rechte Seite, also die Störfunktion, ist überall Null.

Beispiel 2: Die Differentialgleichung

\[3x \cdot y' - \sin(x)\cdot y = x^2\]

ist hingegen eine inhomogene lineare Differentialgleichung 1. Ordnung. Die rechte Seite, also die Störfunktion \(r(x)=x^2\), ist nicht die Nullfunktion.

Video zu “Differentialgleichungen, linear/nicht linear, homogen/inhomogen” von Daniel Jung

Zusammenfassung und Ausblick#

In diesem Kapitel haben wir gelernt, lineare Differentialgleichungen der Form \(a_1(x)y' + a_0(x)y = r(x)\) zu erkennen und zwischen homogenen und inhomogenen Gleichungen zu unterscheiden. Diese Klassifikation ist entscheidend, da lineare Differentialgleichungen systematische Lösungsverfahren ermöglichen. In den folgenden Kapiteln werden wir diese Lösungsmethoden entwickeln und anwenden, um technische Probleme wie Temperaturverläufe, Schwingungen und Regelungsvorgänge mathematisch zu beschreiben und zu lösen.