8.4 Mehrdimensionale Kettenregel

8.4 Mehrdimensionale Kettenregel#

Nachdem wir die Begriffe vektorwertige Funktion und Jacobi-Matrix kennengelernt haben, können wir nun das Thema Kettenregel für mehrdimensionale Funktionen angehen.

Lernziele#

Lernziel

Sie können die mehrdimensionale Kettenregel anwenden.

Verkettung von Funktionen#

Was genau passiert, wenn wir mehrdimensionale Funktionen verketten? Die “Verkettung” von eindimensionalen Funktionen haben wir bereits kennengelernt. Eine Funktion wird auf das Ergebnis einer anderen Funktion angewendet. Im Falle eindimensionaler Funktionen könnten wir zum Beispiel zwei Funktionen \(g(x)=x^2\) und \(f(x)=\sin(x)\) betrachten und sie verkettet als

\[(f\circ g)(x) = f(g(x)) = \sin(x^2)\]

ausdrücken. Das bedeutet, dass wir zuerst die Funktion \(g\) auf \(x\) und dann die Funktion \(f\) auf das Ergebnis \(g(x)\) anwenden.

Bei mehrdimensionalen Funktionen ist das Konzept ähnlich, aber es wird etwas komplexer, da wir jetzt mehrere Eingaben haben. Angenommen, wir haben eine Funktion

\[\begin{split}g(r, \varphi) = \begin{pmatrix} r\cdot \sin(\varphi) \\ r\cdot \cos(\varphi) \end{pmatrix}\end{split}\]

und eine Funktion

\[\begin{split}f(x,y) = \begin{pmatrix} x^2 + y^2 \\ x\cdot y \\ x^2 - y^2 \end{pmatrix}\end{split}\]

und wir wollen sie verkettet darstellen. In diesem Fall würde die Verkettung so aussehen:

\[\begin{split}(f\circ g)(r, \varphi) = \begin{pmatrix} \left(r\cdot \sin(\varphi)\right)^2 + \left(r\cdot \cos(\varphi)\right)^2 \\ \left(r\cdot \sin(\varphi)\right)\cdot \left(r\cdot \cos(\varphi)\right) \\ \left(r\cdot \sin(\varphi)\right)^2 - \left(r\cdot \cos(\varphi)\right)^2 \end{pmatrix} = \begin{pmatrix} r^2 \\ r^2 \cdot \sin(\varphi) \cos(\varphi) \\ r^2 \cdot \left( \sin^2(\varphi) - \cos^2(\varphi)\right) \end{pmatrix}\end{split}\]

Das bedeutet, dass wir zuerst die Funktion \(g\) auf \(r\) und \(\varphi\) anwenden und dann die Funktion \(f\) auf das Ergebnis, also auf \(x = r\cdot \sin(\varphi)\) und \(y = r\cdot \cos(\varphi)\).

Mehrdimensionale Kettenregel#

Zur Erinnerung, die eindimensionale Kettenregel lautet wie folgt: Die Ableitung der verketten Funktion \(f(g(x))\) ist äußere Ableitung mal innere Ableitung, d.h.

\[f(g(x))' = f'(g(x))\cdot g'(x).\]

In mehreren Dimensionen wird diese Regel durch die Verwendung von Jacobi-Matrizen erweitert. Die Jacobi-Matrix ist eine Matrix, die alle ersten partiellen Ableitungen einer mehrdimensionalen Funktion enthält.

Die mehrdimensionale Kettenregel lautet dann: Wenn wir zwei Funktionen \(f\) unf \(g\) haben, die miteinander verkettet zu \(f\circ g\) werden, dann ist die Jacobi-Matrix der verketteten Funktion gleich dem Produkt der Jacobi-Matrix von \(f\) nach \(g\) und der Jacobi-Matrix von \(g\) nach \(\vec{x}\):

\[J_{f\circ g}(\vec{x}) = J_{f}(g(\vec{x})) \cdot J_g(\vec{x}).\]

Dabei ist \(J_{f}\) die Jacobi-Matrix von \(f\) ausgewertet an der Stelle \(g(\vec{x})\) und \(J_{g}\) die Jacobi-Matrix von \(g\) ausgewertet an der Stelle \(\vec{x}\).

Diese Regel erlaubt es uns, die Ableitung einer verketteten Funktion zu berechnen, selbst wenn diese Funktion aus mehreren ineinander verschachtelten Funktionen besteht, die jeweils von mehreren Variablen abhängen.

Wir betrachten erneut das obige Beispiel und bilden zuerst die beiden Jacobi-Matrizen:

\[\begin{split}J_{g}(r, \varphi) = \begin{pmatrix} \sin(\varphi) & r\cdot\cos(\varphi)\\ \cos(\varphi) & -r\cdot\sin(\varphi) \end{pmatrix}\end{split}\]

und

\[\begin{split} J_{f}(x,y) = \begin{pmatrix} 2x & 2y \\ y & x \\ 2x & -2y \\ \end{pmatrix}\end{split}\]

Dann ist die Jacobi-Matrix der verketteten Funktion

\[\begin{align*} J_{f\circ g}(r,\varphi) &= J_{f}(g(r,\varphi)) \cdot J_{g}(r, \varphi) = \\ &= \begin{pmatrix} 2r\cdot\sin(\varphi) & 2r\cdot \cos(\varphi) \\ r\cdot\cos(\varphi) & r\cdot\sin(\varphi) \\ 2r\cdot\sin(\varphi) & -2r\cdot\cos(\varphi) \\ \end{pmatrix} \cdot \begin{pmatrix} \sin(\varphi) & r\cos(\varphi) \\ \cos(\varphi) & -r\cdot\sin(\varphi) \end{pmatrix} = \\ &= \begin{pmatrix} 2r & 0 \\ 2r\sin(\varphi)\cos(\varphi) & r^2\left(\cos^2(\varphi)-\sin^2(\varphi) \right)\\ 2r\left(\sin^2(\varphi)-\cos^2(\varphi)\right) & 4r^2\sin(\varphi)\cos(\varphi) \\ \end{pmatrix} \end{align*}\]

Das gleiche Ergebnis erhalten wir, wenn wir direkt die Jacobi-Matrix der verketteten Funktion berechnen. Manchmal ist es einfacher, die Jacobi-Matrizen der inneren und äußeren Funktion auszurechnen und das Produkt zu bilden, und manchmal ist die direkte Berechnung der Jacobi-Matrix der verketteten Funktion einfacher.

Video zu “Mehrdimensionale Kettenregel” von Prof. Hoever